Wilder
Westen Endlich Ferien. Höchste Zeit für einen Backcountry-Trip. Angeblich soll das Land ja so wunderbare Natur zu bieten haben. Wüsten, Berge, Canyons - Nationalparks wo man geht und steht. Umso dringender, da Besuch aus Deutschland anwesend ist. Dr. U hat auch Lust auf Sonne und warm, und deshalb wird als erstes Ziel gleich mal das Death Valley angesteuert. Dort ist es ja angeblich am allerheissesten. Folglich auch im Winter. Dicke Klamotten und feste Schuhe können also getrost zu Hause gelassen werden, das Auto wird mit Campingausrüstung und jeder Menge Wasser- und Bierreserven beladen. Für alle Fälle. Als wir am nächsten Morgen unser kärgliches Motelzimmer direkt an der Grenze des Todestales verlassen (Death Valley Junction), müssen erstmal Scheiben gekratzt werden. Wir haben ca. 6 Grad minus. Komisch. Frühstück fällt auch aus. Wir sind schon mitten in der Wildnis. Berge, Dünen, Salzsee, bunte Felsen und Naturbrücke: Alles sehr schön. Am besten aber ist, dass die Temperaturen rasch ansteigen und man sogar ein Mittagsschläfchen in der Sonne machen kann. Danach geht’s weiter. Am Abend erreichen wir Las Vegas. Einmal den Strip rauf- und runterfahren dauert 90 Minuten. Totales Verkehrschaos. Die im AAA-Führer angegebenen Hotelpreise stimmen nicht mit den uns zur Verfügung stehenden Angeboten überein. Aufschlag zum Jahreswechsel? Teurer, weil alles ausgebucht? Die Preise fliegen über den Markt. Egal, standesgemäß kommen wir in einer Casino-Hotel-Anlage unter, die mit drei 30-stöckigen Hoteltürmen, Gambling-Hall, überdachtem Vergnügungspark, Riesen-Parkplatz für ca. 500 Wohnmobile und eigenem Shuttle-Zug zwischen den ganzen Einrichtungen die Größe einer mittleren Gemeinde in Niedersachsen samt angeschlossener Bauernhöfe hat. Das Circus Circus unternimmt offenbar enorme Anstrengungen, um mit den neueren Casinos Schritt zu halten. Trotzdem gibt’s noch ein Doppelzimmer für unter 100$, ein Preisvorteil, der sich leider auch an den wenig eleganten Hotel- und Casinogästen ablesen lässt. Das nagelneue und total angesagte Venetian bietet da an und für das Publikum eindeutig mehr. Wohl als Antwort darauf wurde das Caesar’s Palace kurzerhand abgerissen und ebenfalls im Venetian-Stil neu aufgebaut. Die Konkurrenz schläft nicht. Unsere bereits am Vorabend im State-Line-Saloon an der Grenze zwischen Kalfornien und Nevada erworbene Kenntnisse über die Regeln der Poker-Automaten kommen jetzt voll zum Tragen. Dank meines schier unglaublichen Spielerglücks können Dr.U und ich den ganzen Abend mit nur wenigen verzockten Bucks bewältigen. Das angenehme: Während man spielt, sind sämtliche Getränke umsonst. Zuviel Siegfried und Roy kann dann aber auch nerven, weswegen wir die Stadt schon am nächsten Tag verlassen und somit absichtlich verpasssen, wie zu Sylvester die Amerikaner in ihrem Sündenbabel wahrscheinlich komplett freidrehen. Die Danny-Gans-Show (Entertainer of the year) werde ich mir bei anderer Gelegenheit auch entgehen lassen Nach kurzer Verfahrung landen wir etwas verspätet am Hoover Damm. Spektakuläres Bauwerk aus den 30er Jahren im leicht faschistoiden Baustil zur Energiegewinnung durch Aufstauung des Colorado Rivers. Für mich gibt es ein 30er-Jahre Klo. Das für Dr. U ist zu weit weg. Also weiter. Mittlerweile haben wir Nevada wieder verflassen und sind jetzt in Arizona. Wir fahren und fahren. Stundenlang ist nichts zu sehen ausser Berge, Prärie und komische Felsen. Menschen wohnen hier keine. Nach Einbruch der Dunkelheit erreichen wir mit dem letzten Tropfen Sprit einen gottverlassenen Ort namens Seligman. Wenigstens kriegen wir was zu essen. Das uns empfohlene Black Angus Chuck stellt sich als Falscher Hase heraus. Wir haben Jahreswechsel, doch die einzige Bar, das Black Cat, liefert so eine traurige Veranstaltung ab, dass die Fernsehübertragung aus New York mit den anschliessenden zehn Folgen von Sex and the City die bessere Wahl ist. Den Höhepunkt stellt natürlich das endlich zustande kommende Telefonat mit der IPC dar. Am nächsten Tag dann Grand Canyon. Es liegt Schnee und ist schweinekalt. Dafür gibt es beste Sicht auf dieses Naturwunder und die umliegende Landschaft. Das ist alles sehr schön. Der Grand Canyon ist wirklich riesig. Sieht aus wie eine Negativform für Bergketten, so zum Selberbauen. Das angenehme ist, dass man schon oben ist, wenn man ankommt. Eine mühsame Kletterei entfällt. Danach durchqueren wir das Navajo-Indianerreservat. Die Gegend ist ausnahmsweise mal nicht so spektakulär. Das ist auffallend. Den Indianern wurde hier nur der Bodensatz übrig gelassen. Dementsprechend traurig bzw. empörend sind die Bedingungen, unter denen sie leben muessen. Arbeit gibt’s hier keine. Nur schrottreife Hütten und Müll. „Dritte Welt“-Land U.S.A. Einzige Attraktion: In Stein verewigte Dinosaurier-Fussabdrücke. Ein betrunkener oder kranker Navajo führt uns hin. Dino-Füße zeigen und auf ein Trinkgeld hoffen scheint sein einziger Lebensunterhalt zu sein. Wir übernachten in Kayenta, ein Ort, wo man abends auch keinen Schritt mehr vor die Tür machen möchte. Falls für die Touristen nichts extra im Wild-West-Stil angehübscht wird, ist die Zivilisation hier im Hinterland wirklich nur als dreckig und schäbig zu bezeichen. Dafür ist die Natur umwerfend. Mittlerweile sind wir im Monument Valley angelangt. Bizarre Tafelberge aus rotem Sandstein, Hintergrundkulisse für dutzende Indianer- und Westernfilme. Zunächst will uns ein Indianer mit seiner Jeep-Tour 50$ abneppen, aber der Dirttrack kann auch mit dem eigenen Auto bewältigt werden. Vergeblich versucht die Rothaut, seine Spezialkenntnisse an uns zu verkaufen („All the good stuff is in the back.“). Doch eine Steigerung, zu dem, was wir auch ohne ihn zu sehen bekommen, kann es kaum noch geben. Ab jetzt kommen wir aus dem Staunen nicht mehr raus. Und auch nach dem offiziellen Part geht es immer so weiter. Wir fahren den ganzen Tag auf einer sogenannten Scenic Route mit atemberaubenden Bergketten und Wüstenabschnitten. 400 Meilen lang. Die kläglichen Versuche, die Gegend mit der Kamera einzufangen, lassen einen verzweifeln Unsere Reise führt nach Utah, wo ein Nationalpark an den anderen grenzt. Langsam ist man es leid. Da es außer der Natur hier auch nichts zu erleben gibt, wird immer bis Sonnenuntergang gefahren und zu Sonnenaufgang wieder aufgestanden. Wir kommen bis zum Bryce Canyon. Erfreulicherweise verbessert sich der Komfort unserer Motels beständig. 22 Grad Fahrenheit oder minus neun Grad Celsius am Morgen. Abends in L.A. dann wieder sommerliche Temperaturen. Dazwischen liegen noch mal zwei Nationalparks (Bryce und Zion, alles ganz wunderbar), tatsächlich auch mal niedlich anzuschauende Touri-Ortschaften und eine nicht enden wollende Fahrt zurück nach Südkalifornien. Wenn das nächste mal in die Berge gefahren wird, hab‘ ich Stiefel und dicke Socken dabei. |
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