Oktober 02: Ich bin ein Tourist

Da sich mein Surfbrett und meine Campingausrüstung noch auf irgendeinem Schiff befinden, und ich mich auch sonst eher noch zu den California-Anfängern zähle muss,  haben meine Freizeitaktivitäten an den ersten Wochenenden absolut touristischen Charakter. Werde die Zeit zu nutzen, um erstmal die notwendigsten Sehenswürdigkeiten abzuhaken. So führt mich ein erster Weg besispielsweise zum Getty Center. Ein absolutes Muss. Die umfangreiche Sammlung an Kunstobjekten wird in seiner Beispiellosigkeit von der atemberaubenden Architektur in dieser schon unverschämt großzügigen Anlage an exponierter Stelle noch übertroffen. Allein 100 Ozean-Überquerungen der Travertin-Frachter sollen stattgefunden haben, um diesen komischen Spezialstein aus Italien hierher zu transportieren. Das Ganze ist einfach phantastisch. Es gibt wohl keinen Menschen, der am Getty Center etwas auszusetzen hätte.  Die faszinierende Gartenanlage (32 beschäftigte Vollzeit-Gärtner), der Blick von den Santa Monica-Hills über die ganze Stadt bis zum Ozean, die anspruchsvolle Gestaltung auch in Details – all das ist so schön, man könnte dieser stinkreichen J. Paul Getty-Stiftung höchstens Arroganz vorwerfen, dass sie für all die Pracht mit ihren enormen Unterhaltskosten keinen Eintritt verlangt. Widerlich.

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  Ein ganz anderes Bild ein paar Kilometer südlich: Venice Beach. Bunte Meile der Total- Kaputten.  Gaukler, Hippies und Nepper soweit das Auge reicht. Das Eldorado für all die armen, extrovertierten Seelen, die auf irgend einem Trip hängengeblieben sind, und jetzt, Tag ein Tag aus, die Strandpromenade mit Räucherstäbchen, Getrommel und Geschrammel, mit Schlangenbeschwörerei und anderen Fakir-Künsten, mit den überall gleichen Angeboten aus Sonnenbrillen, Bob-Marley-T-Shirts und dergleichen Tand mehr die Szenerie bis zur Unerträglichkeit so ewig gestrig erscheinen lassen. Zwischen all den Pizza-Buden, Billig-Boutiquen, Touristen, Pazifisten, Voyeuristen, Esoterikern und Spaziergängern tummeln sich pseudo-sportliche Selbstdarsteller auf absurden Fortbewegungsmitteln.  Je beknackter, desto besser. Wäre es nicht so anstrengend, könnte man permanent die Kamera bemühen, und damit dem Mob die Anerkennung geben, nach der er hier so erbärmlich bettelt.

Als Beispiel hab’ ich  diesen komischen Kauz abgelichtet, der die ganze Zeit nur lautlos mit seinen Papier-Gitarren in der Luft rumfuchtetelt. Schaetze, er will irgendwie auch mitmachen, obwohl er weder ein Musikinstrument spielen, breakdancen oder Kopfstand-fuer-einen-Dollar-machen kann und auch nicht ueber Scherben laufen mag. Bizarr. Ausserdem gibt’s hier noch echte Verschwoerungstheoretiker. 

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Unglaublicher Weise herrscht dagegen auf dem herrlichen Strand angenehme Ruhe. Meer und Sand wissen vergleichsweise nur wenige zu schätzen. Nicht schrill genug. Der ganze Ramsch scheint attraktiver. Anerkennend muss man allerdings feststellen, dass diese Freak-Show auch ein hohes Maß an Toleranz unter den Leuten verdeutlicht. Jeder darf so sein, wie er mag.  Das gefällt mir gut.